Anschlag mit Buttersäure:

Spur führt in den Mützenicher Drogensumpf

Marco Rose, Aachener Nachrichten, 26.03.2021

Monschau/Gemünd.  Vor knapp vier Jahren wird der Rechtsanwalt Stefan Roder in Mützenich binnen sechs Wochen gleich drei Mal Opfer von Einbrechern. Der oder die Täter verüben auch einen Anschlag mit Buttersäure. Nun sitzt der mutmaßliche Schuldige auf der Anklagebank des Schöffengerichts in Gemünd.

Als Stefan Roder in der Nacht des 4. Januars 2017 im Bett von lauten Geräuschen aufgeschreckt wird, schießt ein Gedanke durch seinen Kopf: „Nicht schon wieder!“ Bereits am 25. November des Vorjahres sowie am 15. Dezember hatten Einbrecher das Haus des Rechtsanwalts aus Mützenich heimgesucht. Nun rüttelt jemand am Griff der verschlossenen Schlafzimmertür, die Roder zusätzlich mit einem gezimmerten Holzriegel gesichert hat. Er öffnet die Tür dennoch und sieht sich einer vermummten Gestalt gegenüber, die die Ladung eines Pulverfeuerlöschers auf ihn abfeuert, ihm den „Stinkefinger“ zeigt und anschließend flieht.

Schnell wird klar, dass dieser dritte Einbruch innerhalb von sechs Wochen keine Tat wie jede andere ist: Der Täter hat überall im Haus und auch im Auto des damals 66-jährigen Opfers Buttersäure verspritzt. Roder muss den Bau aufwändig sanieren, das Auto verschrotten und sich von vielen anderen liebgewordenen Dingen trennen, unter anderem entsorgt er mehr als 80 Hemden. Insgesamt summiert sich der Schaden der drei Einbrüche auf mehr als 150.000 Euro. Lange Zeit tappt die Polizei bei der Suche nach dem oder den Tätern im Dunkeln.

Nach mehr als vier Jahren steht der Fall nun kurz vor der Aufklärung. Die Spur führt in die inzwischen ausgehobene Drogenszene des Venndorfs. Vor dem Schöffengericht in Gemünd muss sich seit Mittwoch ein 41-Jähriger aus Simmerath für die Taten verantworten. Alexander S. war im Jahr 2018 nach einem gemeinschaftlichen Einbruch mit zwei weiteren Angeklagten gefasst worden und hatte daraufhin eine umfassende Lebensbeichte abgelegt und die Einbrüche bei Stefan Roder sowie ein gutes Dutzend weitere in der Nordeifel gestanden.

Schon damals wies der Vater dreier Kinder ein umfangreiches Vorstrafenregister auf – die alten Akten füllen zum Prozessbeginn in Gemünd zwei große Postkartons, die die Vorsitzende Richterin Claudia Giesen erst gar nicht öffnet. Im Mittelpunkt des ersten Prozesstages stehen vielmehr die Einlassungen des Angeklagten, der zu allen Taten aussagen will – soweit er sich denn erinnern kann.

Denn nachdem der Karosseriebauer Schulden bei Drogendealern macht, für die er ein altes Auto aufmöbeln soll, gerät er 2016 erneut auf die schiefe Bahn. Schnell konsumiert er „alles außer Heroin“. Morgens schluckt er Amphetamine, „um über den Tag zu kommen“, abends raucht er Cannabis „zum Runterkommen“. „Ich war nicht mehr ich selbst.“

In einem heruntergekommenen, abgelegenen Haus am Ortsrand von Mützenich, das im Dorf lange Zeit als sozialer Brennpunkt gilt, erhält er nicht nur seine Drogen. Dort gibt man ihm unter anderem Tipps für mögliche Einbruchsziele. Er verkauft auch das Diebesgut dort oder tauscht es, wie er vor Gericht nur stockend zugibt.

Alexander S. hat Angst, sagt er: „Ich möchte nicht meine Familie in Gefahr bringen, nur um eine mildere Strafe zu erhalten.“Über Namen spricht er daher zunächst nicht. Wohl aber über das Haus in Mützenich, in dem Polizeibeamte später eine Drogenküche ausheben. Dort hat S. auch den Hinweis erhalten, dass bei Stefan Roder etwas zu holen ist – etwa eine Sammlung von alten Uhren im Wert von rund 50.000 Euro, die er bei seinem ersten Einbruch erbeutet und bei seinen Dealern abliefert. Oder eine EC-Karte, deren PIN-Nummer er findet und damit 2000 Euro an einem Automaten der Sparkasse in der Laufenstraße abhebt. „Am Anfang fühlte sich alles so einfach an.“Seine Methode ist einfach, aber effektiv: Meist hebelt S. mit einem Schraubenzieher die rückseitige Terrassentür auf und bricht so in eine ganze Reihe von Häusern ein.

Warum ausgerechnet der Rechtsanwalt? Roder, der zunächst den mittlerweile auch wegen Drogenanbaus verurteilten Adolf K. der Tat verdächtigt hatte, kennt die Antwort auf diese Frage: Er hat als Anwalt die Eigentümer des Hauses am Dorfrand vertreten, die über mehrere Jahre gegen den aus Afrika stammenden Mieter prozessierten. War der Anschlag mit Buttersäure ein Racheakt der Szene?

Als Richterin Giesen die einzelnen Tatkomplexe durchgeht, widerspricht Alexander S. vehement: Ja, er sei für die ersten beiden Einbrüche bei Stefan Roder verantwortlich, nicht hingegen für die verheerende dritte Tat. Die Einlassung kommt zunächst überraschend, da der Angeklagte ansonsten alle ihm zur Last gelegten Taten freimütig eingeräumt hat. Für Roder ist das jedoch nur logisch: „Bei den ersten beiden Taten ging es nur um Geld und Schmuck. Bei der dritten ging es um Rache.“Alexander S. ist ihm völlig unbekannt, was dessen Aussage eher stützt.

Spannend wird es Ende März, wenn das Schöffengericht in die Beweisaufnahme einsteigt und neben Stefan Roder auch weitere Einbruchsopfer aus Simmerath, Schleiden und Heimbach anhören wird. Dann wird sich auch zeigen, ob die Strategie des Angeklagten trotz der vielen Taten und einer kaum noch überschaubaren Menge an Diebesgut aufgeht. Tränenreich versichert er am Mittwoch, dass er mithilfe seiner Therapeuten in Aachen mit der Drogensucht abgeschlossen habe und zu seiner Familie zurückgekehrt sei. Derzeit arbeitet der 41-Jährige in der Seniorenbetreuung. Den noch immer bestehenden Haftbefehl setzt das Gericht am Mittwoch zunächst außer Kraft, so dass der Angeklagte das Gericht bis zum nächsten Termin mit seiner Frau wieder verlassen kann.


Raubzug durch die Eifel :

„Robin Hoods“ Opfer leiden noch im

NORDEIFEL Nach seinem Raubzug durch die Eifel steht ein Simmerather vor Gericht. Bekannte Größen der Geschäftswelt sind ebenso betroffen wie Freunde des Angeklagten.

Gegenüber seinen drogensüchtigen Freunden prahlt Alexander S. angeblich gerne mit seinen Taten. Er sei der Robin Hood der Eifel. Der von den Reichen nimmt, um es den Armen zu geben. Der die Reichen ärgert. Doch es sind nicht nur Reiche, die sich am Mittwoch im Amtsgericht Schleiden in Gemünd beim Prozess auf dem Flur treffen.

Bei seinem Raubzug durch die Nordeifel hat Alexander S. nicht einmal vor Freunden und deren Familien haltgemacht. Mehr als sieben Stunden lang sagen die Opfer am zweiten Verhandlungstag aus. Darunter sind auch bekannte Persönlichkeiten der Monschauer und Simmerather Geschäftswelt. Ob wohlhabend oder nicht: Bei den Aussagen der Opfer wird klar, dass sie auch Jahre nach den Einbrüchen mehr oder weniger unter den Taten leiden.

Eine traumatisierte Familie

So wie das Ehepaar B, das in Monschau ein Autohaus betreibt und dem Angeklagten vor einigen Jahren einen Job verschafft hat. Im Betrieb fiel S. nach einiger Zeit dadurch auf, dass er die Kaffeekasse mitgehen ließ, auch Kollegen klagten in der Folge über Schwund in diversen Geldbörsen. „Es war uns irgendwann klar, dass er wieder Drogen nahm“, sagt die Chefin am Mittwoch im Zeugenstand. Dabei hatte der Arbeitgeber S. bis zu diesem Zeitpunkt freundschaftlich begleitet. Nach einem Therapieversuch war er im Betrieb wieder eingegliedert worden. Doch nun wird der 41-Jährige fristlos entlassen.

Der Simmerather rächt sich dafür auf die ihm eigene Weise: Nach sieben Jahren, in denen es keinen Kontakt gab und man sich höchstens mal beim Einkaufen traf, bricht S. im August 2018 in das Haus der Familie B. ein, die gerade im Urlaub weilt. Weil er mit seiner bewährten Methode – S. hebelt sonst meist Terrassentüren mit einem Schraubendreher auf – nicht weiterkommt, zerlegt er die Tür förmlich mit einer Spitzhacke.

„Es war ein Schock für uns alle“, sagt B. „Wir haben unseren Urlaub abgebrochen und sind nach Hause geeilt. Auf dem Esszimmertisch lag noch die Spitzhacke. Alles war durchwühlt worden, der Täter hatte gezielt nach Geld gesucht und auch die Sparschweine der Kinder geleert. Außerdem waren Konto-Unterlagen und ein Generalschlüssel vom Betrieb verschwunden.“Für das Autohaus hat das kostspielige Folgen, denn es müssen sämtliche Schlösser im Betrieb ausgetauscht werden.

Der Schaden, den S. bei seinen Aufbruchsversuchen an verschiedenen Türen verursacht hat, ist immens: Fast 50.000 Euro investiert die Familie anschließend in neue, sichere Türen und weitere Sicherheitsmaßnahmen. Unter anderem lassen sie alle Fenster im Untergeschoss vergittern. „Das ist eine Sache, die niemand von uns in seinem Leben vergessen wird. Das ist ein Schaden auf Lebenszeit“, sagt B. Sie selbst habe ein halbes Jahr unter Schlafstörungen gelitten, ein Kind der Familie sei wieder ins elterliche Schlafzimmer gezogen.

Ein tränenreicher Auftritt

Es folgt der große Auftritt von Alexander S. Bei anderen Zeugen, die gegen ihn an diesem Tag bereits ausgesagt haben, hat er sich demütig entschuldigt. Das will er auch in diesem Fall tun. S. beugt sich vor und sagt mit brüchiger Stimme: „Ich traue mich kaum, noch einmal Entschuldigung zu sagen. Ich habe es schon einmal gesagt. Für Euch muss das ein Alptraum ohne Ende sein. Ich war einfach jenseits von Gut und Böse.“

Bei anderen Opfern konnte S. mit der Entschuldigung punkten, manche bekundeten zur Überraschung der Vorsitzenden Richterin sogar ihr Mitleid mit dem Täter. Doch B. will sich mit der Geschichte vom „reuigen Junkie“ nicht zufrieden geben.

„Ich weiß nicht, ob Dir bewusst ist, was Du anderen Menschen mit Deinem Verhalten antust. Ein Haus ist ein geschützter Bereich jedes Menschen. Mit der Vorstellung, dass dort ein Fremder stundenlang in privaten Dingen herumgewühlt hat, muss man erst einmal klarkommen. Ich werde niemals damit klarkommen. Weißt Du, was Du damit Deiner Familie antust? Und was kommt nach der Verhandlung? Hört das jemals auf? Ich habe noch immer Angst. Du wirst immer in alte Muster verfallen.“Aus dem Publikum meldet sich die Frau des Angeklagten zu Wort. Die Richterin unterbindet das nicht. „Er hat sich geändert! Ich sehe in ihm definitiv einen anderen Menschen“, sagt sie mit Tränen in den Augen.

Es folgt die Aussage des bekannten Simmerather Geschäftsmanns H. Zwei Monate nach dem Einbruch bei seinen ehemaligen Arbeitgebern ist S. in das bestens gesicherte Haus des H. in Simmerath eingebrochen – offenbar hatte er gezielt schweres Werkzeug mitgeführt, das ansonsten nur von Waldarbeitern verwendet wird, um die massiven Sicherheitstüren zu knacken.

Auch bei H. durchwühlt der Angeklagte seinem Geständnis zufolge das gesamte Haus, er scheitert jedoch an einem Tresor, in dem der Geschäftsmann besondere Wertgegenstände aufbewahrte. An den Sparschweinen der Kinder vergeht sich S. auch in Simmerath. „Alles war durchwühlt. Es hat uns sehr belastet, auch die Kinder“, sagt H.

Auch er hinterfragt die Drogenbeichten des Angeklagten. „Wie kann jemand im Drogennebel so professionell und durchgeplant vorgehen? Und wie konnten Sie überhaupt wissen, dass wir gerade in den Urlaub gefahren waren?“, fragt er. Der Angeklagte antwortet ausweichend, so wie er das bereits zu Prozessauftakt getan hatte – angeblich aus Angst vor Rache aus der Szene. Im weiteren Verlauf der Befragungen kommt lediglich heraus, dass er offenbar Tipps einer Postbediensteten erhielt, die in derselben Szene in Mützenich verkehrte.

Ein Anschlag mit Säure

Dort soll S. auch auf den Mützenicher Rechtsanwalt Stefan Roder aufmerksam geworden sein. Dreimal soll der Angeklagte in dessen Haus eingebrochen sein, im November und Dezember 2016 sowie im Januar 2017. 

S. soll dort nicht nur wertvolle Uhren, Bargeld und EC-Karten gestohlen haben, mit denen er später in der Monschauer Sparkasse Geld abheben konnte. S. soll auch für einen Anschlag mit Buttersäure verantwortlich sein und den Anwalt mit einem Feuerlöscher angegriffen haben.

Während der Simmerather ansonsten alle angeklagten Einbrüche gestanden hat, bestreitet S. noch zu Prozessauftakt eine Beteiligung an diesen Verbrechen. Tatsächlich könnte ein Nachweis dieser Taten das Strafmaß für den Angeklagten empfindlich erhöhen, steht hier doch möglicherweise eine Verurteilung wegen versuchter räuberischer Erpressung im Raum.

Auch am Mittwoch schweigt S. zu den mehr als einstündigen Ausführungen Roders. Seine Körpersprache ist nun eine andere: Hat er sich zuvor demütig gegeben, taxiert er den Zeugen Roder nun mit wachen, aufmerksamen Blicken. Dieser berichtet von seinen Erlebnissen und Ängsten.

„Es ist kein Geheimnis, dass wir diese Erlebnisse nur langsam verarbeiten konnten.“Roder ist zum Zeitpunkt der dritten Tat zu Hause und wird im Schlaf durch Geräusche geweckt. Als er die verriegelte Schlafzimmertür öffnet, sieht er sich dem Täter gegenüber, der den Inhalt eines Feuerlöschers auf ihn abfeuert. Mit diesen Taten soll S. allerdings vor mehreren Freunden aus der damaligen Mützenicher Szene geprahlt haben – das bestätigen am Mittwoch zwei Zeugen.

Daher wird es Anfang April in Gemünd spannend: Wie wertet das Schöffengericht die Reue des Angeklagten angesichts seines unglaublich dreisten Raubzuges? Und welche Folgen hat der Angriff auf den Mützenicher Rechtsanwalt? Das Urteil fällt voraussichtlich am 6. April.